Freitag, 8. April 2022
BETON
lotsch, 19:10h
BETON
Ein kurzer Roman
von Joachim Lotsch
Es ist ein prima Haus, in dem ich wohne. Es ist gut isoliert, innen sehr warm. Ich habe noch niemals die Heizung aufgedreht. So warm ist es. Es hat eine gewisse Systemwärme. Man hört auch kaum etwas von der Nachbarschaft. Es gibt zwölf Wohnungen im Haus. Auf der Südseite Balkone, nach Norden Wiese, man kann da sogar Boule spielen, auf dem Dach der Tiefgarage. Reichlich heißes und kaltes Wasser. Die Klospülung funktioniert auch perfekt.
Wie gesagt: Man merkt kaum etwas von den Nachbarn. Nur, wenn der Sascha, in der Parterrewohnung unter mir, auf der Terrasse raucht, rieche ich das sofort. Gut, ich kann die Balkontür ja zu machen. So schlimm ist das nicht. Außerdem ist er oft gar nicht da. Scheint jedenfalls so. Wenn man nichts hört und sieht.
In der Wohnung über mir wohnt ein junges Paar. Hetero. Also eine Frau und ein Mann. Von denen bemerkt man auch fast nichts. Der Mann geht fast unhörbar. Die Frau höre ich manchmal an den kürzeren Schritten. Und sie tritt fester auf. Hat so einen, ich möchte sagen, bäuerlichen Gang. Sie hat einen französischen Namen. Aber das sagt ja nichts. Ich habe sie nur zwei, drei Mal gesehen. Schönes gewelltes Haar. Irgendwie blond. Im Vorbeigehen Hallo gesagt. Sie auch. Manchmal nehme ich Pakete an. Deswegen weiß ich das mit dem französischen Namen überhaupt. Wenn sie ihr Paket nicht abholt, bringe ich es nach oben und lege es vor die Wohnungstür. Bedankt hat sie sich noch nie. Manche bedanken sich, wenn man Pakete annimmt, klingeln und lächeln dankbar und sagen ein paar nette Worte. Eine Frau, die ganz oben wohnt, hat mir schonmal Pralinen gebracht. Das Datum war zwar schon abgelaufen, aber ich habe es dennoch als freundliche Geste genommen. Hätte ich sie ihr vielleicht vor die Tür knallen sollen? Mit einem Zettel: Die alten Dinger kannst du selber fressen? Nö. Ich habe es dabei bewenden lassen. Im Großen und Ganzen lauter nette Leute im Haus. Wenn man sich im Vorbeigehen sieht, sagt man Hallo. Dieses Grüß Gott ist ja total aus der Mode gekommen. Zum Glück. Ich fand es immer furchtbar. Was geht mich der Gott von anderen Leuten an. Und was geht es andere Leute an, was ich glaube? Oder an wen? Schließlich haben sich die Leute auf der ganzen Welt ihre Götter so ausgedacht, je nach Gegend oder Klima, wie sie es für sich passend fanden - oder für richtig hielten. Also, die Nachbarin von oben, die mit dem französischen Namen, ist ja vielleicht katholisch. Französinnen sind meist katholisch. Im Vorbeigehen, an der Haustür sagt sie Hallo. Ich auch. Mehr weiß ich eigentlich nicht von ihr. Das Einzige, was ich höre, ist, wenn sie auf die Toilette geht.
Denn bei Frauen plätschert das immer ein bisschen. Da setzt sie sich auf die Toilette. Man hört zuerst einen ganz kleinen Pups und dann plätschert's. Klingt echt nett. Dass sie sich die Hände wäscht, hört man schon nicht mehr. Sehr gut isoliertes Haus, wie gesagt.
Obwohl, die Französinnen sind ja nicht soo sauber, heißt es. Oben hui und unten pfui, hat meine Mutter immer gesagt. Und in Deutschland gibt es ja noch nichtmal ein Bidet. Also, wenn eine Frau sich nach dem Klogang aufs Bidet setzt und frisch macht, das ist dann schon lecker.
Aber die Nachbarin kenne ich ja nicht näher. Manchmal hört man auch entfernt Geräusche, als ob sie Sex machen. Aber ich habe noch nie einen Orgasmus von ihr gehört. Vielleicht kann ihr Mann sie ja nicht befriedigen? Wer weiß? Und sie sieht toll aus. So weit man das im Vorbeigehen beurteilen kann. Schlanke Taille, knackiger Po, kräftiger Busen, ohne zu groß zu sein. Große Augen, volle Lippen, Wallehaar, Ende zwanzig. Aber kein Orgasmus, schade.
Also früher, als wir so um die Dreißig waren, da war vielleicht was los. Da sind die Fetzen geflogen. Da haben die Balken geknackt. Aber vielleicht liegt es ja auch nur an den modernen Häusern. Alles Beton und super isoliert. Und dann hörst du nur noch einen kleinen Pups und ein leises Plätschern. Und das war's.
© Joachim F. W. Lotsch (3972 Zeichen)
Ein kurzer Roman
von Joachim Lotsch
Es ist ein prima Haus, in dem ich wohne. Es ist gut isoliert, innen sehr warm. Ich habe noch niemals die Heizung aufgedreht. So warm ist es. Es hat eine gewisse Systemwärme. Man hört auch kaum etwas von der Nachbarschaft. Es gibt zwölf Wohnungen im Haus. Auf der Südseite Balkone, nach Norden Wiese, man kann da sogar Boule spielen, auf dem Dach der Tiefgarage. Reichlich heißes und kaltes Wasser. Die Klospülung funktioniert auch perfekt.
Wie gesagt: Man merkt kaum etwas von den Nachbarn. Nur, wenn der Sascha, in der Parterrewohnung unter mir, auf der Terrasse raucht, rieche ich das sofort. Gut, ich kann die Balkontür ja zu machen. So schlimm ist das nicht. Außerdem ist er oft gar nicht da. Scheint jedenfalls so. Wenn man nichts hört und sieht.
In der Wohnung über mir wohnt ein junges Paar. Hetero. Also eine Frau und ein Mann. Von denen bemerkt man auch fast nichts. Der Mann geht fast unhörbar. Die Frau höre ich manchmal an den kürzeren Schritten. Und sie tritt fester auf. Hat so einen, ich möchte sagen, bäuerlichen Gang. Sie hat einen französischen Namen. Aber das sagt ja nichts. Ich habe sie nur zwei, drei Mal gesehen. Schönes gewelltes Haar. Irgendwie blond. Im Vorbeigehen Hallo gesagt. Sie auch. Manchmal nehme ich Pakete an. Deswegen weiß ich das mit dem französischen Namen überhaupt. Wenn sie ihr Paket nicht abholt, bringe ich es nach oben und lege es vor die Wohnungstür. Bedankt hat sie sich noch nie. Manche bedanken sich, wenn man Pakete annimmt, klingeln und lächeln dankbar und sagen ein paar nette Worte. Eine Frau, die ganz oben wohnt, hat mir schonmal Pralinen gebracht. Das Datum war zwar schon abgelaufen, aber ich habe es dennoch als freundliche Geste genommen. Hätte ich sie ihr vielleicht vor die Tür knallen sollen? Mit einem Zettel: Die alten Dinger kannst du selber fressen? Nö. Ich habe es dabei bewenden lassen. Im Großen und Ganzen lauter nette Leute im Haus. Wenn man sich im Vorbeigehen sieht, sagt man Hallo. Dieses Grüß Gott ist ja total aus der Mode gekommen. Zum Glück. Ich fand es immer furchtbar. Was geht mich der Gott von anderen Leuten an. Und was geht es andere Leute an, was ich glaube? Oder an wen? Schließlich haben sich die Leute auf der ganzen Welt ihre Götter so ausgedacht, je nach Gegend oder Klima, wie sie es für sich passend fanden - oder für richtig hielten. Also, die Nachbarin von oben, die mit dem französischen Namen, ist ja vielleicht katholisch. Französinnen sind meist katholisch. Im Vorbeigehen, an der Haustür sagt sie Hallo. Ich auch. Mehr weiß ich eigentlich nicht von ihr. Das Einzige, was ich höre, ist, wenn sie auf die Toilette geht.
Denn bei Frauen plätschert das immer ein bisschen. Da setzt sie sich auf die Toilette. Man hört zuerst einen ganz kleinen Pups und dann plätschert's. Klingt echt nett. Dass sie sich die Hände wäscht, hört man schon nicht mehr. Sehr gut isoliertes Haus, wie gesagt.
Obwohl, die Französinnen sind ja nicht soo sauber, heißt es. Oben hui und unten pfui, hat meine Mutter immer gesagt. Und in Deutschland gibt es ja noch nichtmal ein Bidet. Also, wenn eine Frau sich nach dem Klogang aufs Bidet setzt und frisch macht, das ist dann schon lecker.
Aber die Nachbarin kenne ich ja nicht näher. Manchmal hört man auch entfernt Geräusche, als ob sie Sex machen. Aber ich habe noch nie einen Orgasmus von ihr gehört. Vielleicht kann ihr Mann sie ja nicht befriedigen? Wer weiß? Und sie sieht toll aus. So weit man das im Vorbeigehen beurteilen kann. Schlanke Taille, knackiger Po, kräftiger Busen, ohne zu groß zu sein. Große Augen, volle Lippen, Wallehaar, Ende zwanzig. Aber kein Orgasmus, schade.
Also früher, als wir so um die Dreißig waren, da war vielleicht was los. Da sind die Fetzen geflogen. Da haben die Balken geknackt. Aber vielleicht liegt es ja auch nur an den modernen Häusern. Alles Beton und super isoliert. Und dann hörst du nur noch einen kleinen Pups und ein leises Plätschern. Und das war's.
© Joachim F. W. Lotsch (3972 Zeichen)
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